Offener Brief: Zuverdienst beim AMS muss möglich sein

Appell des Kulturrat Österreich an Bundeskanzler Christian Stocker, Bundesminister Andreas Babler, Bundesministerin Korinna Schumann und die Abgeordneten zum Nationalrat im Kultur- wie Sozialausschuss: Zuverdienst beim AMS muss möglich sein. Noch gibt es die Chance, die Abschaffung rückgängig zu machen. Wir fordern das ein!

Symbolbild: Offener Brief wird auf Schreibmaschine getippt

[Update 11.12.2025: Antworten aus Sozial- wie Kunst- und Kulturministerium ergänzt am Ende des Artikels]

Pressemitteilung, Kulturrat Österreich, vom 27.10.2025 

 

Sehr geehrter Bundeskanzler Christian Stocker,
sehr geehrte Herr Minister für Kunst und Kultur Andreas Babler,
sehr geehrte Frau Ministerin für Soziales Korinna Schumann,
sehr geehrte Abgeordnete zum Nationalrat im Kultur- wie Sozialausschuss,


Arbeitslosigkeit wird schnell zur Armutsfalle. Bislang ist ein geringfügiger Zuverdienst zu Arbeitslosengeld oder Notstandshilfe möglich. Damit soll ab 2026 Schluss sein. Begründung: Eine geringfügige Beschäftigung sei „in vielen Fällen hinderlich“ für die Wiederaufnahme einer vollversicherten Beschäftigung. Das Gegenteil ist in Kunst und Kultur der Fall. Zudem sind (kurzfristige) geringfügige Jobs berufsspezifisch typisch – gleichgültig, ob neben einer vollversicherten Tätigkeit oder in einer Phase der Arbeitslosigkeit: ein Drehtag, ein Artists Talk, eine Lehrveranstaltung.

Das bedeutet für die Zukunft: Wer Anspruch auf Arbeitslosengeld hat, muss sich entscheiden: Entweder einen geringfügigen Job annehmen und Arbeitslosengeld verlieren. Oder absagen, weil das Arbeitslosengeld unverzichtbar ist, um über die Runden zu kommen. Nur 100% arbeitslos ist möglich, wenn diese Gesetzesänderung mit 1.1.2026 in Kraft tritt. Das eröffnet neue Armutsfallen. Und es ist kontraproduktiv für die Arbeitssuche – gerade in Branchen wie Kunst und Kultur, wo berufliche Aktivität und Präsenz essenziell für Folgebeschäftigungen sind. Die vorgesehenen Ausnahmen, wo Zuverdienst doch möglich sein soll, sind unzureichend.

Gleichzeitig hat sich diese Regierung vorgenommen, die soziale Absicherung in Kunst und Kultur zu verbessern. Aus Ihrem Regierungsprogramm: "Dabei müssen die besonderen Erwerbsrealitäten und die damit einhergehenden arbeits- und sozialversicherungsrechtlichen Rahmenbedingungen berücksichtigt werden." Wir halten fest: Wenn die beschlossene Abschaffung der Zuverdienstregelung bleibt wie beschlossen, wird die soziale Absicherung von Künstler*innen und Kulturarbeiter*innen dagegen angegriffen und nachhaltig beschädigt – noch bevor die im Regierungsprogramm hierzu angekündigte interministerielle Arbeitsgruppe überhaupt eingerichtet ist.
 

Noch gibt es die Chance, diese Maßnahme rückgängig zu machen. Wir fordern ein:
 

  • Zurück zum Arbeitslosenversicherungsgesetz (AlVG) wie es noch gilt: Ein Gesetz, das alle Änderungen im AlVG aus dem Budgetbegleitgesetz zurücknimmt. Aktuell sollen Arbeitsgruppen im BMWKMS zur Verbesserung der arbeits- und sozialen Absicherung von Künstler*innen und Kulturarbeiter*innen beginnen. Deren Ergebnisse sind abzuwarten.
     
  • Zumindest Regelungen, die alle vorübergehenden geringfügigen Beschäftigungen (unselbstständig) und Aufträge (selbstständig) als gesetzliche Ausnahme definiert.
     
  • Zumindest Regelungen, damit selbstständige Einnahmen AUSSERHALB eines Arbeitslosengeldbezugs kein Problem für die Arbeitslosigkeit und bezogene Geldleistungen darstellen. Eine Abgrenzung von selbstständigen Einkünften muss möglich sein, um rückwirkende Ausschlüsse und Rückforderungen von Arbeitslosengeld zu verhindern.
     
  • Zumindest eine Erweiterung der Möglichkeit der Ruhendmeldung für alle neuen Selbstständigen

 

 

Weitere Informationen:

Text Gesetzesänderung (Artikel 45; unverändert beschlossen)

Kulturrat Österreich zur Gesetzesnovelle, mit der Zuverdienst zum AMS weitgehend abgeschafft wird

Ergebnisse der Stimmungsabfrage IG Freie Theaterarbeit: AMS-Bezug und geringfügiger Zuverdienst von Künstler:innen (Presseaussendung IGFT vom 12.6.2025)

Information für Künstler_innen und Kulturarbeiter_innen (Kulturrat Österreich, Stand 29.10.2025)

 

Logo Kulturrat Österreich bunt
Der Kulturrat Österreich ist der Zusammenschluss von Interessenvertretungen in Kunst, Kultur und Freien Medien. Gemeinsam vertreten diese IGs rund 5.500 Einzelmitglieder sowie 70 Mitgliedsverbände mit deren 360.000 Mitgliedern, über 1.000 Kulturinitiativen und 16 freien Rundfunkstationen. 

Die IG Kultur Österreich ist Gründungsmitglied und Vorstandsmitglied.

 


Antwort aus dem Sozialministerium vom 18.11.2025

Ministerkorrespondenz
Kulturrat Österreich; Offener Brief: Zuverdienst beim AMS muss möglich sein!

Sehr geehrte Damen und Herren!
Das Bundesministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz
bedankt sich für Ihr Schreiben und nimmt dazu wie folgt Stellung:

Grundsätzlich darf ab 1. Jänner 2026 keine geringfügige Beschäftigung während des Bezugs von Arbeitslosengeld (Notstandshilfe) mehr ausgeübt werden. Hintergrund ist, dass die Ausübung einer geringfügigen Beschäftigung gerade zu Beginn der Arbeitslosigkeit einer raschen Aufnahme einer vollversicherungspflichten Beschäftigung häufig entgegensteht.

Die gesetzliche Regelung sieht jedoch Ausnahmen vor, die wie folgt lauten (§ 12 Abs. 2 Z 1 bis 4 AlVG):

Arbeitslos sind auch Personen, die eine geringfügige Erwerbstätigkeit (Beschäftigung)

  1. bereits ununterbrochen mindestens 26 Wochen neben einer vollversicherten Erwerbstätigkeit (Beschäftigung) gemäß Abs. 1 ausgeübt haben und diese nach Beendigung der vollversicherten Erwerbstätigkeit fortführen,
  2. nach einer Bezugsdauer von Arbeitslosengeld (Notstandshilfe) von 365 Tagen, wobei Unterbrechungen bis 62 Tage unbeachtlich sind, aufnehmen und die geringfügige Erwerbstätigkeit (Beschäftigung) innerhalb eines Zeitraumes von längstens 26 Wochen ausüben,
  3. nach einer Bezugsdauer von Arbeitslosengeld (Notstandshilfe) von 365 Tagen, wobei Unterbrechungen bis 62 Tage unbeachtlich sind, aufnehmen und das 50. Lebensjahr vollendet haben oder die Voraussetzungen gemäß § 2 Behinderteneinstellungsgesetz (BEinstG) oder gleichartiger landesgesetzlicher Regelungen erfüllen oder einen Behindertenpass gemäß § 40 Bundesbehindertengesetz (BBG) besitzen oder
  4. nach einer mindestens 52 Wochen dauernden Erkrankung, während der Kranken-, Rehabilitations- oder Umschulungsgeld bezogen wurde, aufnehmen und die geringfügige Erwerbstätigkeit (Beschäftigung) innerhalb eines Zeitraumes von längstens 26 Wochen ausüben.
     

Die Ausnahmeregelungen für langzeitarbeitslose, ältere Personen und Personen mit Behinderungen wurden geschaffen, da es diesen Personen besonders schwerfällt, am Arbeitsmarkt wieder Fuß zu fassen. Ausnahmen für bestimmte berufliche Tätigkeiten, wie dies bei Kulturschaffenden der Fall ist, hat der Gesetzgeber nicht getroffen. Derartige Ausnahmen müssten nämlich für mehrere berufliche Tätigkeiten angedacht und umgesetzt werden, womit sich Probleme der sachlichen Abgrenzung zu anderen Berufsgruppen ergeben, die sachlich begründbar kaum zu lösen sind.

Grundsätzlich gilt somit, dass eine Person, die keine der oben genannten Ausnahmebestimmungen erfüllt und eine geringfügige Tätigkeit ausübt, für den Zeitraum der geringfügigen Beschäftigung keinen Anspruch auf Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung hat. Wir möchten jedoch darauf hinweisen, dass bei kurzen geringfügigen Beschäftigungen an den übrigen Tagen des Monats sehr wohl Arbeitslosengeld (Notstandshilfe) bezogen werden kann (sofern keine Pflichtversicherung vorliegt).

Wir ersuchen Sie um Verständnis, dass eine Änderung der ab 1.1.2026 geltenden Neuregelung für Kulturschaffende nicht geplant ist. Das Arbeitslosenversicherungsgesetz beinhaltet allgemeine Regelungen für arbeitslose Personen und gerade keine speziellen Regelungen für besondere Berufsgruppen, weshalb es auch nicht der geeignete Ort für abweichende Regelungen beim Zuverdienst ist.

Die komplexen Erwerbsrealitäten von Künstlerinnen und Künstlern sind uns jedoch bewusst und werden vertieft im Rahmen der interministeriellen Arbeitsgruppe zu Rahmenbedingungen in Kunst und Kultur behandelt werden, zu deren Auftakt am 25.11.2025 Sie bereits eine Einladung vom BMWKMS erhalten haben.


Antwort aus dem BMWKMS vom 11.12.2026

[auf Nachfrage an Vizekanzler und Minister für Kunst und Kultur Andreas Babler.]

Die Novelle des Arbeitslosenversicherungsgesetzes verfolgt das richtige Ziel, Menschen in stabile Beschäftigung zu bringen. Gleichzeitig müssen wir anerkennen, dass typische Erwerbsbiografien für Kunst- und Kulturschaffende nicht gelten. Atypische Beschäftigung nimmt am Arbeitsmarkt immer weiter zu und betrifft besonders Kunst- und Kulturschaffende, die oft in kurzen Engagements und wechselnden Erwerbsformen arbeiten.

Unser Ziel bleibt, soziale Sicherheit zu stärken und faire Entlohnung zu ermöglichen. Für die Kunst- und Kulturbranche braucht es spezielle Lösungen. Das BMWKMS arbeitet deshalb gemeinsam mit dem Sozialministerium und mit Expert:innen und Stakeholdern intensiv an tragfähigen Regelungen, zu dem und über das Thema der Zuverdienstmöglichkeiten zum Arbeitslosengeld hinaus. Auch wenn atypische Beschäftigung in Kunst und Kultur oft Realität bleibt, ist unser Anliegen, würdige Arbeitsbedingungen zu sichern.